Eine vierteilige Einheit
Gustav Mahlers Sinfonien Nr. 1 bis 4
Wie Ludwig van Beethoven ist auch Gustav Mahler über die »Neun« nicht hinaus geschritten. Eine zehnte Sinfonie hat der Spätromantiker zwar begonnen, aber fertig wurden eben nur neun Beiträge zu jener Gattung, die seit Beethoven den Höhepunkt eines kompositorischen Schaffens darstellt. Anders als bei seinem Vorbild zeigt Mahlers Œuvre vor allem am Anfang klare Strukturen und verwandtschaftliche Bezüge, um später immer individuellere Pfade zu verfolgen. Gerade die zwischen 1885 und 1900 entstandenen ersten vier Sinfonien gehören derart eng zusammen, dass sie als vierteilige Einheit begriffen werden können.
Wenn Daniele Gatti in seiner ersten Saison als Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle gleich alle diese frühen Sinfonien aufs Programm hebt, dann ist das ein Fingerzeig: Hier wird exemplarisch vorgeführt, wie in der Spätromantik die Gattung nach und nach aus den Angeln gehoben wird. Eine Einheit ist dieses Quartett bereits dadurch, dass man nur noch hier von jeweils einer Grundtonart reden kann: Kopfsatz und Finale stehen entweder in der gleichen Tonart oder zumindest in naher Beziehung. Vor allem aber ist die Tetralogie von Vokalstimmen oder durch die Einbeziehung von Liedern bestimmt. Jedes Werk enthält zumindest einen Satz, der ein Lied von Mahler bearbeitet, das auf einen Text aus der ab 1805 von Achim von Arnim und Clemens Brentano herausgegebenen Sammlung »Des Knaben Wunderhorn« oder auf einen diesen Liedern nachempfunden Text zurückgeht – weshalb die vier Werke auch als »Wunderhorn-Sinfonien« bekannt wurden.
Doch darüber hinaus gibt es auch inhaltliche Querverbindungen: Die Erste, ursprünglich als sinfonische Dichtung in zwei Teilen angekündigt, trägt in ihrer Frühfassung programmatische Überschriften, die sich auf Jean Pauls »Titan« beziehen. Die Zweite, die »Auferstehungssinfonie«, knüpft direkt daran an: Sie beginnt mit einer »Totenfeier«, in der der Held der Ersten zu Grabe getragen wird. Sein Leben wird im Werk wie in einem Spiegel aufgefangen, wenn es im Finale heißt: Warum hast du gelebt? Warum hast du gelitten? Die Dritte verlagert das Geschehen dann und betrachtet die gesamte Welt in immer größeren Kreisen. Das gigantische und bewusst wortlos gehaltene Finale der Dritten scheint kaum überbietbar, und steht deshalb zu Recht am Schluss der ersten Saison dieses ersten Mahler-Zyklus in der Geschichte der Staatskapelle. Gleichwohl deutet sich in der Vierten bereits das Ende der »Wunderhorn«-Jahre an. In einer künstlerisch-ironischen Brechung erscheint die bisher durchschrittene Welt dieses Frühwerks aus der heiteren Distanz der Humoreske.
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